In der Grünanlage vor unserem Haus steht wieder diese widerliche Kind. Immer steht sie da, mit ihrer Rotznase und dem verheulten Gesicht und diesem orangefarbenen Anorak. Die Farbe müsste verboten werden. Ich will nicht an ihr vorbeigehen müssen, nicht diesen Blick ertragen. Dabei ist der Kühlschrank leer und ich müsste dringend einkaufen.
Ich lasse die Jalousien herunter, damit mein Blick nicht an dem oragenen Fleck hängen bleibt. Sie kann mir gestohlen bleiben, diese Kreatur und die ganze restliche Welt dazu. Dann gibt es eben wieder eine Dosensuppe, da müsste noch eine im Schrank sein. Dann kaufe ich eben morgen ein. Morgen ist sie bestimmt nicht da.
Selbst durch die Thermopenscheiben kann ich ihre Stimme hören, dieses unerträgliche selbstvergessene Geplärre. Sie singt „Hänschen klein“ oder etwas, das sie dafür hält. Ich ertrage das nicht. Ich verlasse die Küche und setze mich stattdessen in den Flur, auf die kleine gepolsterte Sitzbank neben dem Telefon, die Beine angezogen.
Es wäre schön, wenn jetzt jemand anrufen würde. Mich einfach ein bisschen unterhalten, ablenken, damit meine Gedanken nicht immer wieder zu dem orangenen Anorak zurückkehren. Aber natürlich ruft niemand an. Es ist dunkel im Flur. Die Wanduhr aus dem Wohnzimmer tickt. Das Geräusch wird immer lauter, je länger ich zuhöre. Die Uhr gibt den Rhythmus vor für die Worte, die noch immer in meinem Kopf klingen. Häns-chen-klein-ging-a-llein tick tick tick tick tick tick.
Immer ist sie da, egal, wo ich hingehe. Verfolgt mich. Jede Sekunde. Überall. Tag und Nacht. Ich ertrage das nicht mehr. Ich greife nach meiner Handtasche und dem Autoschlüssel. Meine Hände zitttern und der Schlüssel fällt zu Boden. Tick tick tick häns chen klein tick tick tick. Meine Fingern pflücken den Schlüssel aus dem Teppich. Nur weg. Tick tick tick ging a llein.
Die Wohnungstür fällt hinter mir ins Schloss. So schnell es geht husche ich an der gläsernen Haustür vorbei. Wenn sie sich jetzt bloß nicht umdreht. Ihr orangener Anorak hüpft auf und ab während ihre Füße nach Kreidekästchen suchen. Ich laufe in den Keller hinunter, durch den langen Gang zum Hinterausgang. Über die Waschbetontreppe und den kurzgeschnittenen Rasen. Betreten verboten. Dann bin ich am Parkplatz.
Im dritten Versuch schaffe ich es endlich, den Schlüssel ins Schloss zu stecken und umzudrehen. Ich öffne die Fahrertür, werfe die Handtasche auf den Beifahrersitz. Ich schreie, als etwas an meinem Pullover zieht. Als ich herumfahre, steht sie vor mir, der orangene Anorak offen, die Haare zerzaust. Sie zieht ihre laufende Nase hoch.
„Darf ich jetzt wieder reinkommen, Mutti“, fragt sie.
(Jutta Jordans, März 2009)
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