Tja, es ist Bundestagswahl und keiner geht hin. Na ja, „keiner“ ist übertrieben, aber wie es aussieht, wird die Wahlbeteiligung ein Rekordtief erreichen. Ich bin selber seit einigen Jahren überzeugte Nichtwählerin und finde das gut. Irgendwo habe ich eben den saudoofen Slogan gelesen: „Wer heute nicht wählt, darf sich später nicht beschweren.“ Das ist Quatsch. Denn ich beschwere mich ja in der Regel nicht darüber, dass die Vertreter der Partei, die ich sowieso nicht gewählt hätte, Blödsinn machen, sondern ich habe mich in der Vergangenheit viel mehr darüber beschwert, dass die Leute, die ich mit gutem Wissen und Gewisssen gewählt habe trotzdem schlecht regiert haben (z.B. zur Zeit der rot-grünen Koalition).
Im Moment ist die Situation natürlich noch blöder. Eine große Koalition ist doof. Die will keiner. Und darum will die auch keiner wieder wählen. Und da wir inzwischen ziemlich viele kleine bis mittelgroße Parteien haben (was ich an und für sich gut finde), ist eine Koalition aus einer großen und einer kleinen Partei immer unwahrscheinlicher. Und sämtliche denkbaren dreifarbigen Koalitionen sind vorher ausgeschlossen worden. Rot spielt nicht mit rot, gelb nicht mit grün, grün nicht mit schwarz … da wird es schwierig.
Und von Korruption, Lobbyismus und der Unmöglichkeit, in der heutigen Zeit als Spitzenpolitiker seinen Idealen treu zu bleiben, fange ich jetzt gar nicht erst an. Meiner Meinung nach ist die parlamentarische Demokratie gescheitert. Oder, wie ein Bekannter beim Mensa-Stammtisch es ausdrückte: „Eigentlich haben wir die parlamentarische Demokratie nicht, weil wir sie gut finden, sondern weil uns nichts besseres einfällt.“ Dem stimme ich zu. Bedenklich finde ich nur, dass es immer noch ein Tabu ist, das offen auszusprechen. Und das blockiert eine öffentliche Diskussion darüber, wie eine Alternative denn aussehen könnte. Meiner Meinung nach ist das durchaus etwas, in das man Forschungsgelder investieren könnte. Oder von mir aus einen Wettbewerb ausschreiben: Wer macht den besten Verfassungsentwurf? Der Siegerentwurf muss dann ja nicht gleich umgesetzt werden, aber es wäre doch gut, darüber zumindest mal nachzudenken, statt für immer das Dogma „unsere Demokratie ist das bestdenkbare System der Welt“ zu predigen und alle Abweichler als Radikale und Extremisten abzustempeln.
Ich wähle täglich. Ich wähle, wie ich mein Geld verdiene, also welchen Arbeitgeber und welche Organisationen ich mit meiner Arbeitskraft unterstütze, ich wähle, wofür ich mein Geld ausgebe, ich wähle, welchen Medien ich Glauben schenke und (um im Bild von gestern zu bleiben) welche Geschichten ich erzähle. Das ist in meinem Verständnis Demokratie.
Heute muss ich aber noch an einer anderen Wahl teilnehmen (und die kann ich nicht aus politischem Idealismus verweigern). Wir haben zwei unglaublich nette, sympathische und passende Bewerber für unser freies WG-Zimmer und werden jetzt in freier, anonymer Wahl entscheiden, wer das Zimmer „gewinnt“, indem jeder von uns 20 Punkte frei auf die beiden Kandidaten verteilt. Macht das die Entscheidung einfacher? Nein, aber es fühlt sich besser an. So gesehen ist das gar nicht soviel anders als Bundestagswahl.
Ansonsten habe ich die letzen beiden Tage ein bisschen im Garten gearbeitet, Brot gebacken, gut gekocht bin viel draußen gewesen, weil das Wetter einfach herrlich ist.
Weil der Tag heute schon sehr weit fortgeschritten ist, stattdessen das ToDo für morgen:
- einkaufen
- KV-Antrag zum Briefkasten bringen
- Zeitreisen-Akademie neu plotten
4 Kommentare
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27/09/2009 um 21:31
Jahn
Das mit dem Nicht-Beschweren-Dürfen ist natürlich Blödsinn: Die gewählten Volksvertreter sind schließlich Vertreter des ganzen Volkes. Sie sind allen verpflichtet, die sie repräsentieren. Ebenso die Regierung(en): Sie sind allen, die sie regieren, verpflichtet. Darum darf sich auch jeder, der vertreten oder regiert wird, mehr noch, jeder, der davon betroffen ist, sich zu Recht beschweren.
Wer seine Tür nicht abschließt, darf sich später nicht beschweren, wenn ich ihm die Wohnung leerklaue.
27/09/2009 um 21:49
Capella
> Wer seine Tür nicht abschließt, darf sich später nicht beschweren, wenn ich ihm die Wohnung leerklaue.
Selbst das sehe ich anders. Wenn ich Vertrauen in meine Mitmenschen habe, heißt das nocht nicht, dass ich es nicht Scheiße finden darf (und das auch kundtue), wenn dieses Vertrauen mißbraucht wird. Ich kann verstehen, dass keine Versicherung für mein Vertrauen in die Menschheit gerade stehen will, aber eine Wohnungstür, auch eine nicht abgeschlossene, ist meiner Meinung nach schon ein konventionelles Signal, dass die Gegenstände, die sich dahinter befinden, Privateigentum und nicht Allgemeingut sind. Anders verhält es sich, wenn ich meine Sachen unbeaufsichtigt an die Straße stelle. Da würde ich, spätestens wenn es Abend wird und kein Möbelwagen weit und breit zu sehen ist, nicht böse sein, wenn die jemand mitnimmt, denn dann kann derjenige zu Recht davon ausgehen, dass ich sie nicht mehr haben will. Ich denke, was ich sagen will, ist, dass es zusätzlich zur reinen Rechtslage da noch eine moralische, konventionelle Komponente gibt. Es gibt Dinge, die laut Gesetz vielleicht erlaubt sind, aber trotzdem verwerflich (und auch umgekehrt … das Mitnehmen von Sperrmüll ist laut Gesetz Diebstahl, ich freue mich trotzdem über jeden Sessel, der so ein neues Zuhause findet). Und über die darf man sich trotzdem beschweren (nur halt nicht erwarten, vor einem Gericht Recht zu bekommen).
28/09/2009 um 13:45
Jahn
Och nö!
Ich hatte das Sarkasmus-Markup bei dem Satz jetzt für überflüssig gehalten. Natürlich kann ich mich beschweren, hey: Es ist sogar strafbar, wenn jemand was mitgehen lässt.
Wenn ich meine Wohnung nicht abschließe, gibt es sogar Fälle, in denen die Versicherung dennoch zahlen muss. (Weil das unter Umständen eben nicht grob fahrlässig war. Normalerweise ist es das natürlich.)
Und selbst dann, wenn ich mein Portemonnaie wohlgefüllt auf den Bürgersteig lege, habe ich noch das Recht, mich zu beschweren, wenn jemand das Geld daraus stibizt. Das Gesetz sieht das ebenso. Man nennt das Diebstahl bzw. Fundunterschlagung.
29/09/2009 um 08:29
Andi
Ich bin auch nicht zufrieden mit dieser repräsentativen Demokratie, aber bis auf ein paar kleine Änderungen fällt mir auch nix besseres ein.
Ich bin unter anderem deswegen zur Wahl gegangen, weil das Wahlsystem die Nicht-Wähler bevormundet. Und zwar insofern, als das nicht abgegeben Stimmen (genauso wie ungültige) auf die Parteien die in den Bundestag gelangen hochgerechnet werden. Die Annahme das Nichtwähler das so wollen finde ich fragwürdig.
Ich fände es sehr gut, wenn die nicht abgegebenen Stimmen zu leeren Sitzplätzen im Parlament führen würden. Dann würde es den Politikern ordentlich weh tun wenn sie so doll rummurksen und vertrauen verspielen, dass keiner mehr zur Wahl gehen möchte.
Ausserdem sollten, falls man an der 5-% Hürde festhalten will, die Parteien die es nicht geschafft haben, das Recht haben ihre Stimmen weiterzugeben (das müsste natürlich schon vor der Wahl bekannt sein). Denn warum sollte man sonst eine Partei wählen die nicht in den Bundestag kommt – das würde dann ja bewirken das die eigene Stimme anteilig auf die „Gewinner“ der Wahl aufgesplittet wird, was ja nicht im Sinne des Wählers liegt. Die 2 % der Piratenpartei werden jetzt auf CDU/CSU/FDP/GRÜNE/LINKE/SPD hochgerechnet – genauso als ob die Wähler der Partei nicht zur Wahl gegangen wären (bis auf einiges Geld das die Piratenpartei pro Stimme bekommt – soviel ich weiss).